herbstagonie
tief im mächtigen forst
sitzt müde und einsam
ein uraltes waldwesen
im schatten hölzerner freunde
vom saft der fernen jugend
ist wenig nur geblieben
erschlafft im sog der zeit
die einstmals starke faust
aus wuchtig wilden bäumen
tief verwurzelt in der zeit
fällt welkes laub des wandels
bedeckt sein kahles haupt
die glut der heißen tage
die eben noch den leib gewärmt
weicht unerbittlich klarer kühle
das metronom des lebens tickt
durch die morschen glieder
fließt zäh ein dumpfer moder
tausend weberknechte hausen
im nebelhaften bart
noch pocht das treue herz
wie zum anbeginn der zeit
und spürt doch lange schon
dass die finale kälte naht
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Mein Beitrag zur Herbst-Anthologie 2025, Hrsg. Thomas Opfermann
die agonie der kritischen kunst
einst tropfte hohn aus allen federn
wurde grimm in stein gemeißelt
leinwände mit widerstand bestrichen
und spott auf bühnen ausgekotzt
in ton ward wut geknetet
verbot’ne noten komponiert
schelme spielten scharfe streiche
und narren tobten keck am fürstenhof
heut‘ liegen zahme künste
wie treue hunde wachend
vor schlössern irrer diktatoren
und fressen aus dem napf der macht
ab 1:13.40 wird mein Gedicht vorgetragen
waldbadnovize
der alte holzriese knarrt lustvoll
als ich meine schlaffen arme um ihn lege
uralter baumbart weht lüstern in mein fahles gesicht
bewegt vom leisen wind des wandels
irgendwo im nahen astwerk
pocht wild ein frecher specht
das schrille getöse der grossstadt
dringt rüde in mein müdes hirn
ermattet sinke ich zu boden
spüre knarzig-warme rinde
bette mich auf feuchte erde
und wittere nur moos und moder
krampfhaft sucht mein atem ruhe
im takte eines fernen axtschlags
doch noch rauscht machtvoll alltagstrott
durch meinen fieberhaften geist
ein kühner käfer wandert
keck auf meine mürbe hand
fühler kitzeln kranke haut
ein hauch von wahrem leben
ein jäher sonnenstrahl
dringt schüchtern durch das dickicht
ich schließe meine müden augen
und werd' vom dunkel warm umwoben
mein fleisch verschmilzt allmählich
sanft erschlaffend mit dem wald
feen und elfen umflügeln
rauschhaft meinen ätherleib
ich bin ein geschöpf des waldes
ein uraltes wesen im heiligen forst
die seele heilt im tanz der sinne
nie wieder möcht' ich von hier fort
1. Preis beim Lyrik-Wettbewerb "Innere Ruhe" 2025 (www.lyrik-wettbewerb.de):
Michael von Maruun (Michael Folie)
waldbadnovize
erstkontakt
unter einem lindenbaum
von amors pfeilen sanft geritzt
sitzen bebend herz und herz
auf frisch verbrämter decke
zwei verletzte seelen
alte wunden im gepäck
einsam umeinander tanzend
angstvoll, zärtlich, liebevoll
gefühle an der kurzen leine
behutsam ineinanderfließend
die zeit steht still für eine weile
ein hauch von leben ist zu spür’n
Anthologie Dating, Edition Lyrik, Vera Klee, 2025
Trümmerfrauen 2.0
der nebel des wahnsinns
wabert über den deutschen sektor
untergang zieht heulend
über ein land in scherben
manch deutscher michl
sitzt noch in scheinbar heit’rer stube
während der wind des wandels
scharf am hause nagt
in dunklen hallen thront machtlos die macht
politische clowns und narren des hofes
sprachrohr zerlumpter westlicher werte
genährt am amerikanischen busen
im osten tanzt der gott des krieges
umschwärmt von schaurigen gestalten
die zwar nach recht und ordnung krächzen
und doch den moloch lustvoll füttern
ein grüner kobold zückt sein messer
sticht jubelnd tief hinein
in adern die das land versorgen
das volk steht da und schweigt
die schlote haben ausgeraucht
der mittelstand liegt krank danieder
der kleine mann weint bitt’re tränen
sein letztes hemd liegt schon bereit
sonnenkraft und windeshauch
schützen welt und unser klima
don quijotes allenthalben
niemand rettet heut noch kröten
auf dem altar des gendergottes
liegt zuckend fleisch der alten welt
adam und eva liegen im sterben
normal ist was der norm entgegensteht
im dunkelsten kerker der demokratie
schmachten widerworte bei wasser und brot
festgeschnallt auf dem zuchtstuhl des dünkels
sitzt der schemen der freien meinung
geld und gold aus deutschen bunkern
verteilen narren weltenweit
daheim in deutschen stuben
ist die halbe welt zu gast
gevatter tod reibt sich die hände
die ernten werden immer satter
von ferne kommt manch willig‘ helfer
das messer in der harten faust
die schreiberlinge der gazetten
sind blind für elend, leid und tod
das beste deutschland aller zeiten
schreiben wir’s, dann stimmt es schon!
einigkeit und recht und vielfalt
die letzte heil’ge kuh geschlachtet
richter und henker
statt dichter und (quer)denker
wer soll all den schutt verräumen
wer all die augiasställe waschen
wenn die dunkelheit dann endet
trümmerfrauen gibt es nicht
bergbauernbraille
dunkeldüster liegt der nebel
seit tagen auf den feldern
umhüllt mit seinen schwaden
eisern haus und hof
drinnen in der kargen stube
herausgeputzt von seiner mutter
sitzt ein bub mit toten augen
blickt hinaus ins dunkle nichts
der triste takt der pendeluhr
dringt schallend in des knaben ohr
die nase schnuppert immerzu
riecht holz und harz und welke blüten
im flur auf harter eichendiele
ertönen schnelle schritte
des vaters grobe stiefel
und unbekannte zarte tritte
knarrend öffnet sich die türe
schwester anna schlüpft herein
lehrerin für blinde kinder
im stift der heiligen ottilie
sie spricht beinah verzückt
von meister braille und seiner schule
von tafeln und von griffeln
und lesen mit den händen
der kleine mann lernt erste zeichen
anfangs scheu und etwas zitternd
dann fliegt der finger stund’ um stund’
lustvoll über eingestanzte punkte
des knaben augen sehen nicht
wie draußen helios den nebel bannt
doch unter seinen kleinen fingern
erblickt vergnügt er neue welten
zum 200. Jahrestag der Erfindung der Braille-Blindenschrift 1825
heim bitteres heim
einsam lieg ich da
alt und faltig
vergessen von der welt
auf das wesentlichste reduziert
die dunkelheit lugt durchs fenster
ein nachtvogel schreit in der ferne
der tag ist schon vergessen
nichts davon bleibt
sehnsucht nach berührung
die kinder ausgesperrt
nur kalter nadelstahl
dringt in meine haut
plastifizierte helfer
müde und genervt
desinfizieren leben
mechanisch und steril
herr du helfer in der not
lass mich fort aus diesem elend
die kraft ist längst erloschen
ich wär am liebsten tot
erschienen im Lyrikband ketzReime, 2022
Die Hybris des Uhus
Ein Uhu aus dem deutschen Tann,
dereinst nach Abenteuern sann;
er schmiedete gar seltsam Pläne
und flog nach Hellas zur Athene!
Das göttlich' Weib saß auf 'ner Säule,
auf der Schulter eine Eule.
Steinkauz nannte sich das Vieh,
berechnete die Kreiszahl Pi!
Der Vogel sprach voll Standesdünkel:
„Willkommen, Uhu, fetter Gimpel!
Ich ziere hier in Prunk und Pracht,
Athens Schulter Tag und Nacht.
Schön ist sie wohl, doch gar nicht weise;
ich glaube gar, sie hat 'ne Meise!
Spricht sie auch schlau und klug zu dir,
nichts stammt von ihr, sie hat’s von mir!“
Der Uhu wähnte sich im Traum,
traute seinen Ohren kaum.
„Ich fett, du schlau, oh Eulenwicht?
Jetzt übernehm' ich deine Schicht!
Ab nun sitz ich an deiner Stelle,
mach dich hinfort, sonst gibt’s 'ne Schelle!
Der Göttin kann auch ich soufflieren,
ich werd' das Weibchen nicht blamieren!“
Der kleine Kauz war ganz betreten
und wich dem nordischen Athleten.
Athene war zutiefst verwirrt,
als der Uhu sie umschwirrt'.
Ihr edler Leib vor Schreck erbebte,
als er zu ihrer Schulter strebte;
drum landete der arme Tropf
schließlich auf der Göttin Kopf!
Des Zeuses Tochter sank danieder
und griff entsetzt in das Gefieder.
Sie warf die Rieseneule
an die nächste Tempelsäule!
Der Steinkauz jubelte vor Glück
und glitt auf seinen Platz zurück.
Der Uhu flog beschämt von dannen,
heimwärts zu den deutschen Tannen.
Und schwebt er heut‘ mit edlem Flügel,
nächtens über Flur und Hügel,
denkt er zurück an seine Reise
und lacht vergnügt auf seine Weise.
„Was will ich armer alter Tropf
auf des Gottesweibes Kopf?
Der eitle Kauz mag dort verharren
und stets auf ihren Busen starren!“
erschienen in der Anthologie Der lachende Uhu (ausnahmsweise gereimt wie zu Mittelschulzeiten)